Eine Kindheit in Övelgönne: Der Rollponton

Da wir praktisch für den einwandfreien Ablauf auf dem Rollponton verantwortlich waren, entschlossen wir uns, selbst Hand an die Winde zu legen. Wie die Sache vor sich ging, wussten wir natürlich ganz genau: Dreher aufstecken, ein Stückchen anhieven, den Stopper herausnehmen, die Bremse drücken und dann den Ponton langsam tiefer rollen lassen. Wir machten uns also ans Werk. Es war ja auch eine einmalige Gelegenheit zu zeigen, dass wir mit unseren sechs oder sieben Jahren schon fixe Bengel waren und wirkliche Arbeit zu leisten vermochten.

Das bisschen Hochdrehen des Pontons, um den Stopper herauszunehmen, erwies sich als gar nicht so einfach. Wir mussten uns beide mit unserem ganzen Körpergewicht auf den Dreher hängen. Endlich lüftete sich das große Zahnrad ein wenig, und wir konnten den Stopper herausnehmen. Über diese Anstengung hatten wir die Bremse vollkommen vergessen. Wie ließen dann den Dreher nur etwas lose, indem wir mit unseren Bäuchen davon herabrutschten. Doch der Dreher entwickelte eine solche Kraft, dass wir ihn nicht mehr mit den Händen zu halten vermochten. Im Gegenteil, wir mußten uns nach rückwärts werfen, um nicht von dem immer schneller routierenden Dreher getroffen zu werden.

Es hörte sich an, als wenn ein Schwam Möwen sich um einen Fisch zankte.

Langsam, mit einer majestätischen Ruhe und Sicherheit rollte der Ponton ins Wasser. Vor lauter Schreck dachten wir beide immer noch nicht an die Bremse. Wir sahen nur den immer schneller herumwirbelden Dreher. Das Pontondeck war nun mit dem Wasserspiegel gleich, das Wasser gluckste schon durch die Ritzen des Holzbelags. Die ersten spitzen Schreie der drei Damen auf der Bank vor der Winde hallten in dem friedlichen Sonntagmorgen; es hörte sich an, als wenn ein Schwam Möwen sich um einen Fisch zankte. Der Mann mit dem Kanu warf blitzschnell seine letzten Sachen in sein Boot, löste dann Vor- und Achterleine, weil sie schon schräg nach unten zeigten. Die Damen auf der Bank schrien immer greller, das Wasser reichte ihnen schon bis an die streng bedeckten Waden.

Wir beiden Jungs fühlten uns nicht mehr als Herren der Lage. Obwohl der Dreher der Winde nun etwas langsamer kurbelte, war er doch mit der Hand nicht einzufangen. Wir ergriffen also die Flucht; wir rannten über den Hänger an Land, das Wasser am Ende des Hängers reichte uns schon über die Knie. In den ersten Sekunden unserer Flucht dem Strand entgegen sah ich noch Onkel Herbert wie einen geölten Blitz aus dem Ostschuppen kommen. Er preschte durch das Wasser auf den Hänger; schon hatte er die Winde erreicht – ein Handgriff, und der Rollponton stand.

Den Damen stand mittlerweile das Wasser bis an den Hüften (Sie sollen geschrien haben, als wenn sie am Spieß steckten und das Feuer schon unter ihren Hintern spürten). Die Mietsboote steckten ihre Nasen tief ins Wasser und waren eben vorm Volllaufen. Später wurde uns von Augenzeugen berichtet, die unser Malheur von Paul Kruses Bude aus mit angesehen hatten, dass noch einige Männer zur Hilfe eilten. Der zweite Dreher wurde aufgesetzt und mit vereinten Kräften der Rollponton wieder auf „Normal-Höhe“ gedreht. Die drei Damen sollen dann wie die Enten geschnattert haben. Onkel Herbert versuchte, sie zu beruhigen: „Sicher haben die Jungs das nicht mit böser Absicht gemacht, sie wollten uns nur helfen, und dabei ist es eben passiert“ Sind eben doch noch kleine Jungs.“

Hansi Hasselmann und ich machte einige Tage einen großen Bogen um das Bootshaus. Aber mit der Zeit renkte sich alles wieder ein. Nur die Winde auf dem Rollponton durften wir nicht wieder anfassen.