Eine Kindheit in Övelgönner: Das Malheur

Ich blieb eine ganze Weile in der Astgabel der Eiche sitzen, es kam mir wie eine Ewigkeit vor, nichts ereignete sich, absoluter Frieden und Ruhe war um mich herum. Vielleicht war es gerade die Ruhe und der Frieden, die eine innere Unruhe und ein Angstgefühl in mir aufkommen ließen. Ich besah meinen ehemals weißen Matrosenanzug: ‚Das beste war davon! Was sollte ich bloß für eine Ausrede erfinden?‘ Nach reiflicher Überlegung kam ich zu dem Schluß, dass es wohl am besten sein würde, wenn ich meiner Mutter die reine Wahrheit sagen würde; vielleicht konnte ich sie überzeugen, dass alles gar nicht so bös gemeint war, dass ich nicht wußte, dass in der verdammten Kann Öl war und kein Wasser, und dass ich den Mann gar nicht treffen, sondern nur dem Mädchen etwas Wasser an die Beine spritzen wollte. Vielleicht würde ich in Betracht des versauten Anzugs mit ein paar Ohrfeigen davonkommen. Ich versuchte, etwas Trost aus diesem Gedanken zu schöpfen. Aber alle Überlegungen führten nicht an der Tatsache vorbei, dass ich irgendwann mal nach Hause mußte. Denn ich wollte ja nicht zu allem Übel auch noch zu spät zum Mittagsessen kommen.

Ich hatte einfach jegliches Zeitgefühl verloren, ein Zeichen der Angst.

Also begann ich meinen Abstieg. Ich setzte mich auf den Knoten und schwang zur Birke herüber. Der Abstieg über die Nägel war keine Hürde. Vorsichtig, nach allen Seiten spähend, wie ein Indianer auf dem Kriegspfad, schlich ich nach Hause. Ich näherte mich der offenstehenden Küchentür von der Bergseite her. Ich hatte mir schon einen Spruch zurechtgelegt, der eigentlich jeden Menschen zu Mitleid hinreißen mußte. Voller Optimismus hatte ich meine Mutter in diesen Kreis einbezogen. Auch ein par Tränen hatte ich vorsorglich zur Hand. Doch in dem Moment, als ich die Küche betreten wollte, traf mich fast der Schlag; ich hatte das Gefühl, zu einer Salzsäule zu erstarren. Auf dem Stuhl neben dem Küchentisch saß der Mann mit der weißen Hose, jetzt war er nicht mehr in weißer Hose, sondern in einer Turnhose. Seine weiße Hose lag auf dem Küchentisch und meine Mutter war dabei, die ehemals weiße Hose mit allerlei Tinkturen und Mitteln zu bearbeiten.

Meine Mutter schoß einen Blitz auf mich ab. „Zieh Dich aus, und zu Bett! Deine Tracht kriegst Du nachher.“ Ich machte mich dünn wie ein Blatt Zeitungspapier, um auf dem Weg ins Schlafzimmer nicht in ihre Reichweite zu kommen. Im Schlafzimmer zog ich mich schnell aus. Vergeblich versuchte ich, die relativ sauberste Seite meines Matrosenanzugs obenauf zu legen. Es war vergebliche Liebesmüh. Dann schlüpfte ich ins Bett.

Ein Bett ist eigentlich ein eigenartiges Möbelstück: Geht man freiwillig hinein, ist es das Schönste aller Möbel. Muß man hinein, kann es zur Hölle werden.